Angefragt
„Ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben.
…Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben können. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie sich dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.“
So schreibt Rainer Maria Rilke an einen jungen Dichter.
Unbeantwortete Fragen machen uns unsicher, wecken Ängste, lassen vieles offen, erklären nichts. Antworten geben Sicherheit. Sie ermöglichen uns, Erklärungen zu finden und scheinbare Zusammenhänge zu erkennen, selbst dann, wenn die Antworten falsch oder hypothetisch sind. Die Sicherheit, die sie geben, kann allerdings trügerisch sein und uns hindern, verantwortbare, sinnvolle Antworten zu finden und neue Wege zu wagen. Heilsamer und hilfreicher ist es, den Empfehlungen des Psychiaters und Psychotherapeuten Viktor Frankl zu folgen, der sagt: „Menschsein heißt, vom Leben befragt sein.“ Er ermutigt uns, achtsam auf die Fragen des Lebens zu lauschen und, erst wenn wir die Fragen verstehen, in Geduld und Gelassenheit die sinnvollen, verantwortbaren Antworten zu suchen. Wir dürfen sicher sein, es gibt diese Antworten und wir finden sie. Rilkes Brief an einen jungen Dichter kann dabei eine ganz konkrete Hilfe sein.
Vielleicht fühlen Sie sich angesprochen durch diese Worte Rilkes und versuchen einfach einmal, Ihre ganz persönlichen Fragen, auf die Sie noch keine Antwort finden können, lieb zu haben anstatt an ihnen zu verzweifeln. So könnte es sein, dass auch Sie sich eines Tages in die Antwort hinein leben.