Sinn macht entscheidungsfähig

Täglich müssen wir uns entscheiden.  Schon am frühen Morgen fängt es an: „Was ziehe ich an?“ “ Was hat heute Priorität?“ “ Was mache ich zuerst?“ Oft wird uns dieses Entscheidenmüssen zur Qual der Wahl.  Wer die Wahl hat ist frei. Aber wer die Wahl hat, hat auch die Verantwortung. Freiheit und Verantwortung, das sind zwei Grundwerte des Menschseins. Doch statt uns an diesen Grundwerten zu freuen, leiden wir an der Qual der Wahl. Wir haben verlernt, auf unsere innere Stimme zu hören und so herauszufinden, was für uns in einer bestimmten Entscheidungssituation stimmig ist. Wir hören auf alle möglichen Stimmen, wollen allen alles recht machen und leben so an unserer ganz persönlichen Bestimmung vorbei. Viktor Frankl, der Begründer der sinnzentrierten Psychotherapie, nennt diese innere Stimme auch die Stimme unseres Gewissens und bezeichnet sie als unser „Sinnorgan“. Denn die Gewissensstimme orientiert sich am Sinn. Sie spricht leise aber deutlich zu uns. Wenn wir still werden, können wir sie hören. Sie weist uns auf die sinnvolle Wahl hin und macht uns entscheidungsfähig.
Davon erzählt die folgende Geschichte aus dem Orient.

Die Schwierigkeit, es allen recht zu machen

Ein Vater zog mit seinem Sohn und einem Esel in der Mittagsglut durch die staubigen Gassen von Keshan. Der Vater saß auf dem Esel, den der Junge führte. „Der arme Junge“, sagte da ein Vorübergehender. „Seine kurzen Beinchen versuchen mit dem Tempo des Esels Schritt zu halten. Wie kann man so faul auf dem Esel herum sitzen, wenn man sieht, dass das kleine Kind sich müde läuft.“ Der Vater nahm sich dies zu Herzen und stieg hinter der nächsten Ecke ab und ließ den Jungen aufsitzen. Gar nicht lange dauerte es, da erhob schon wieder ein Vorübergehender seine Stimme: „So eine Unverschämtheit! Sitzt doch der kleine Bengel wie ein Sultan auf dem Esel, während sein armer, alter Vater nebenher läuft.“ Dies schmerzte den Jungen und er bat den Vater, sich hinter ihn auf den Esel zu setzen.“Hat man so etwas schon gesehen?“, keifte eine Schleier verhangene Frau, „solche Tierquälerei! Dem armen Esel hängt der Rücken durch und der alte und der junge Nichtsnutz ruhen sich auf ihm aus, als wäre er ein Diwan, die arme Kreatur!“ Die Gescholtenen schauten sich an und stiegen beide, ohne ein Wort zu sagen, vom Esel herunter. Kaum waren sie wenige Schritte neben dem Tier her gegangen, machte sich ein Fremder über sie lustig: „So dumm möchte ich nicht sein. Wozu führt ihr denn den Esel spazieren, wenn er nichts leistet, euch keinen Nutzen bringt und noch nicht einmal einen von euch trägt?“ Der Vater schob dem Esel eine Hand voll Stroh ins Maul und legte seine Hand auf die Schulter seines Sohnes: „Gleichgültig, was wir machen“, sagte er, „es findet sich doch jemand, der damit nicht einverstanden ist. Ich glaube wir müssen selbst wissen, was wir für richtig halten.“

Kennen Sie Ihre innere Stimme? Vielleicht können Sie sich erinnern, dass sie in einer Entscheidungssituation zu Ihnen gesprochen hat. Denken Sie daran, wie gut es war, als Sie mit sich im Einklang waren und ein stimmige Entscheidung getroffen haben. Üben Sie sich darin, auf Ihre innere Stimme zu hören.

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